Auf
dem Dorf - An einem kalten Wintertag klingelt im 5. Stock einer
50-jahre Platte unter dem gelben, rauchdurchsetzten Himmel von Minsk um 5.30Uhr
am Morgen mein Wecker. Eigentlich ist es noch viel zu früh - dunkel sowieso,
aber heute fahren Julia, Philipp, Flo und ich mit Anna zu ihrer Familie aufs
Dorf. Um 7.39Uhr geht unsere Reise mit dem Zug Grodno-Gomel los, 2 Stunden und
viele verschneite Felder später, steigen wir bei strahlendem Sonnenschein in
Babruysk (Бобруйск) aus. Es
ist kalt, wohl um die -15°, aber die gefrorenen Äste der Bäume, der unberührte
Schnee und die wärmenden Sonnenstrahlen verwandeln die ca. 250.000 Einwohner
Stadt in eine verschlafene Märchenwelt. Der Eispalast (Schlittschuhhalle) und
die Festung sind neben dem winterlichen Glanz und der Ruhe die diese Stadt an
einem kalten Samstagvormittag ausstrahlt eher nebensächliche Attraktionen.
Schließlich geht es mit der Maschrutka zum Markt, dann zu Fuß in den Supermarkt
und schließlich zu Annas Tante nach Hause.
Dort werden wir unglaublich herzlich begrüßt und ganz
unserer Geschlechterrolle entsprechend ;) Kochen wir Mädels während die Jungs
im Wohnzimmer sitzen und Annas Tante und ihrem Onkel (dessen Frau ständig
anruft, er soll gefälligst nach Hause kommen) erzählen müssen, wie sie denn so
die belarussischen Frauen finden. Dann sitzen wir gemütlich auf den grünen
Sofas, in dem mit Fotos übersäten Wohnzimmer essen unsere Nudeln und die
leckere Torte von Tante Luba, trinken Tee und unterhalten uns während Tante
Luba ihre Schwester besucht und Annas Bruder Andrei (er ist 17) etwas
verschüchtert im Schlafzimmer vor dem Computer sitzt und sich bedienen lässt.
;o)
Um 18Uhr geht es dann mit dem Bus weiter aufs Dorf oder
besser gesagt erst mal in den Wald, denn nach eineinhalb Stunden frostiger
Fahrt werden wir irgendwo im nirgendwo mitten im Wald (in dem es laut Anna
Füchse, Wildschweine, Hirsche, Elche und auch Wölfe gibt) ausgesetzt während
das Mama-Luba-Taxi noch 6km weiter im Dorf steht. Also werden unsere
durchgefrorenen Zehen jetzt ein bisschen aufgeheizt während wir unter dem
Sternenhimmel im Mondschein mitten auf einer schneebedeckten, menschenleeren
Straße im Wald Richtung Kolbawa (Колбово)
laufen. Dann die Lichter eines Autos und wenig später liege ich auf der
Rückbank des Autos quer über Julia und Flo und wir ruckeln die Straße entlang,
vorbei an Häusern - immer wieder getrennt voneinander durch weite Felder.
Bei Anna zu Hause angekommen werden wir sofort auf den
riesigen Ofen verfrachtet. Während unten gekocht und gebacken wird, sitzen wir
oben auf den Kacheln und wärmen uns wieder auf, dann gibt es Essen: selbst
gemachte Butter und selbst gemachten Käse, für die Nicht-Vegetarier Fisch und
Fleisch und natürlich Gemüse und Brot. Zum Nachtisch gibt es Kuchen, Konfekt
und Jagdbilder/-videos von Papa Viktor, der ist nämlich Jäger.
Schließlich geht es in die Banja, das ist die belarussische
Form der Sauna. Natürlich selbst gebaut und auch viel schöner als Sauna, denn
es ist feuchter. Für Flo ist es das erste Mal in der Sauna/Banja und so
belustigt er uns alle als er mir (natürlich scherzhaft) sagt: „Lina, du
schwitzt aber ganz schön; geht es dir gut?“ Nun schwitzen tun wir alle und wem
es zu heiß wird, der darf ein wunderschönes Zipfelmützchen aufsetzen. Zum
Abkühlen geben wir dann aber den Ton an und zeigen mal wie man nach der Sauna
so einen richtigen Temperaturunterschied braucht in dem wir rausrennen, uns mit
Schnee einseifen und uns sogar reinwerfen. So geht es eine Weile weiter, ein
Aufguss nach dem anderen, kurz in den Schnee und dann wieder rein, vielleicht
eine kleine Pause zwischendrin oder einmal auspeitschen. Denn in der Banja wird
man mit Laubruten ausgepeitscht, das ist angenehm!
Am Ende duschen wir uns mit einer Mischung aus heißem
Banjawasser und Schnee. Wir waren so lange in der Banja, dass wir jetzt nicht
mehr rechtzeitig los kommen um in die Dorfdisko im Nachbarort zu gehen, also
bleiben wir einfach zu Hause und gehen nach und nach alle schlafen.
Gemeinsam mit Julia schlafe ich auf einem Sofa, teile mir
mit ihr eine Decke und freue mich wie ihre nächtlichen Kommandos für Ruhe
sorgen. ;o)
Am Morgen schlafen wir lange, Papa Viktor ist schon seit 2
Stunden auf der Jagd, Mama Luba und Anna stehen schon seit 3 Stunden in der
Küche, nur Andrei schläft noch länger als wir, sodass ich ihn dann wecken darf.
Anna und er erinnern mich sehr an meinen kleinen Bruder und mich. Manchmal
schimpft Anna mit ihm, macht ihm etwas Feuer unterm Hintern, aber eigentlich sind
sie sehr süß zueinander, er passt auf sie auf. Jetzt kann ich es kaum abwarten,
dass meiner kleiner und mein großer Bruder bald kommen!
Nach einem ausgiebigen Frühstück und Annas hoffen auf
wärmeres Wetter (morgens waren es -26°) gehen wir raus die Tiere angucken. Es
gibt 6 Jagdhunde -2 sind ganz lieb und 2 schnappen auch mal ein bisschen, einer
springt hoch und will einem in die Nase beißen! – 5 Kühe, 2 Pferde, 2 Schweine,
Hühner und Gänse.
Während wir dicke Jacken und Mäntel holen, werden die Pferde
vor den Schlitten gespannt und schon bald geht es los Richtung Wald. Zu 6.
Sitzen wir auf einem niedrigen mit Heu bedeckten Holzschlitten dick
eingemummelt und mit Jacken zugedeckt, Andrei hängt hinten auf Skiern an einer
Leine am Schlitten. Nach und nach probieren wir es auch alle mal. Flo hat
anfangs noch etwas Schwierigkeiten das Gleichgewicht zu halten, Julia sieht wie
ein Hampelmann aus und schafft es keine 2 Meter ohne in den Schnee zu fallen,
bei mir klappt es eigentlich ganz gut, aber bei einer kleinen Tiefschneefahrt
lege ich mich auch richtig hin und auch Philipp bleibt nicht verschont.
Durchgefroren aber glücklich und noch ganz fasziniert von dem wundervollen
Winterwald im Sonnenlicht sitzen wir wieder auf dem Ofen und wärmen uns auf,
knabbern Kürbiskerne, dann gibt es Mittagessen und bald sucht sich jeder von
uns ein Eckchen zum Schlafen, ich bleibe auf dem Ofen.
Nach dem Abendessen ist unser Wochenende dann fast schon
wieder vorbei, mit Geschenken bepackt (Käse, Smetana, Marmelade und Kuchen) springen
wir schnell in das Auto, haben kaum Zeit uns zu bedanken, denn plötzlich wird
es in dem kleinen idyllischen Dorf hektisch – Papa Viktor und sein Kollege
waren lange jagen, sodass wir jetzt geradezu über die Straße fliegen um
rechtzeitig für unseren Zug in Babruysk zu sein.
Um 20 Uhr heißt es dann endgültig „Tschüss gute Landluft und
Natur“, in einem nicht unbedingt warmen Zug geht es 3 Stunden lang zurück bis
wir wieder im wunderschönen versmogden Minsk ankommen und auch gleich von einem Milizionäraufmarsch begrüßt werden.
Und am Ende bleibt neben der Erinnerung an ein wunderschönes
Wochenende nur der Traum von einem Freiwilligenwochenendhof auf dem Land und
die Einladung im Sommer wiederzukommen!