Gender und Sexualität - Einige Erlebnisse und Annas Frage
nach der Geschlechterrolle in Deutschland haben mich veranlasst hier einmal
etwas über meine Erfahrung mit Gender und auch mit Sexualität in Belarus zu
schreiben.
Wie sagte Johanna es so schön: „In Minsk ist man keine
richtige Frau wenn man keine hohen Schuhe trägt.“ Und es ist etwas Wahres daran,
denn Turnschuhe sind bei den Frauen hier nicht sonderlich verbreitet. Wenn
schon flach, dann doch wenigstens Stiefel bis zu den Knien hoch, aber die
meisten tragen hohe Schuhe. Und um das Klischee vollständig zu erfüllen dazu
doch bitte einen engen kurzen Rock (die Treppenstufen sind hier unglaublich
flach und ich habe die Theorie, dass die Belarussinnen ansonsten mit ihren
engen Röcken da nicht hochkämen), eine Nylonstrumpfhose, einen Mantel mit Fell
und lange Haare.
Man schafft es mit unserem Kleidungsstil häufiger Gesprächsthema
zu werden. Die Verkäuferinnen des Second Hand Ladens waren wirklich sehr
amüsiert, als Julia und ich nur die Männerschuhe anprobierten und neulich wurde
ich an der Bushaltestelle von einer Frau gefragt, ob ich Künstlerin sei, mein
Kleidungsstil würde darauf schließen lassen. ;OP
Natürlich sind hier nicht alle so, denn „es gibt jene und
solche und dann gibt es noch ganz andere aber das sind die schlimmsten.“ (Marc-Uwe
Kling)
Emanzipation als Nebensache. Frauen dürfen keine Busse
fahren und hilfsbereite Männer stehen im Ansehen häufig eine Stufe höher als
hilfsbereite Frauen.
Besonders stark vertritt man die Geschlechterrolle. Frau
oder Mann, das sollte Eindeutig sein. Und Homosexualität ist zwar gesetzlich
nicht verboten, aber die ungeschriebenen Regeln der Gesellschaft sagen etwas
anderes. Man kann hier durchaus als Homosexueller Leben, es gibt
„Schwulenpartys“ und auch auf der Straße begegnet man gelegentlich Homosexuellen.
Dabei begegnet man dem Thema schwul sein häufiger als lesbisch sein, denn
Frauen die sich küssen, das sind doch bloß Freundinnen oder nicht?
Viele Belarussen haben eine Art der Homophobie aber wer kann
es ihnen übel nehmen, wenn sie nie gelernt haben damit umzugehen? Doch es wird
Zeit dafür, denn Akzeptanz findet man hier nur in bestimmten Kreisen in anderen
ist die Abneigung beherrschend. Im Krankenhaus gibt es ein Mädchen, dass seit
sie 4 ist ein Junge sein möchte, heute ist sie/er 14 und die Mutter akzeptiert
die Neigungen des Kindes, andere nicht. „Es ist schade, dass kein Vater mehr in
dieser Familie lebt, denn die Mutter hat einen Fehler gemacht und der Vater
hätte das verhindert, aber vielleicht bis das Kind 18 oder 20 ist da kann man
es noch verändern, kann man alles wieder richtig machen.“
Wer akzeptiert werden will, der ist besser „normal“ ohne
komische Neigungen, Behinderungen oder ähnliches, der zeigt sein Geschlecht
durch seine Kleidung, sein Verhalten und ist eben, ganz nach dem
kommunistischen Gedanken der Gleichheit, wie alle.
Unter jungen Menschen gehört die „richtige“ Sexualität zum
Alltag, es ist eben ein Teil des Lebens. Bei den Kindern und jungen Erwachsenen
im Heim ist es verboten!
Der Erregung und Befriedigung wird jede Art der
Natürlichkeit abgesprochen. Wenn ein Junge im Pubertätsalter masturbiert, dann
wird er dafür geschlagen oder die Windeln werden einfach so fest gebunden, dass
er keine Chance mehr hat.
Auch auf der Mädchenstation spielt Sexualität eine große
Rolle. Die Kinder lernen aus dem Fernsehen, denn Soaps sind eine der
Lieblingsbeschäftigungen der Sanitakas. Küssen ist wohl eine der alltäglichen
Sachen und vielleicht kann man es auch zu einer Art mütterlichen Fürsorge
zählen, aber das ist noch das geringste. Manche Kinder reagieren bereits auf
zärtliche Berührungen. So zum Beispiel eines der blinden Mädchen, vermutlich
ist ein über den Rücken streicheln eine Erfahrung die sie selten oder nie
macht, ihre Reaktion darauf: der Griff unter das Shirt zur Brust, dann in den
Schritt.
Auch eng umschlungenes tanzen oder Händchen halten hat ihnen
das Fernsehen gezeigt, dabei spielt hier das Geschlecht jedoch keine Rolle. Es
ist nicht wichtig ob man männlich oder weiblich ist, sondern nur dass man
irgendwie diesem Gefühl, diesem Trieb nachkommt.
Normalerweise werden solche Dinge sehr schnell unterbunden,
um so schockierender war für mich ein Erlebnis was ich machen musste, als
keiner der Mitarbeiter mehr auf der Station war, als die Kinder sich
gegenseitig „betreuten“. Ziemlich schnell lagen 2 Mädchen auf dem Boden, das
eine eher mit einer „maskulinen Art“ und stark und bestimmend, das andere nicht
fähig sich zu wehren, schwach und irgendwie zurückgelassen. Sie wurde auf dem
Boden abgeküsst und umarmt und gedrückt. Nachdem sie aufgestanden waren, habe
ich sie eine Weile später auf einem der Sofas liegen sehen, die kleine war
wehrlos den Küssen, den Berührungen ausgeliefert, verstand wohl auch nicht was
da passierte. Als ich näher komme sehe ich, dass auch ihr Hose runtergezogen
ist, dass sie untenrum nackt ist - die Große liegt auf ihr.
Es ist schockierend und schwer, aber diese Kinder
wissen es nicht besser, sie lernen nicht mit ihrer Sexualität umzugehen, sie
können sich nicht ausprobieren also tun sie, wenn sie doch einmal können, das was sie
woanders sehen, wozu der Trieb sie bringt und ich möchte mir gar nicht
vorstellen wohin das führen kann.
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